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Return to Sender – Oder: Das Gras wachsen hören
von Hannes Langbein
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Das Gras wachsen hören müsste man können! – Oder besser nicht? – Hypochondern, Paranoiden oder Übersensiblen wird traditionellerweise nachgesagt, das Gras wachsen zu hören, weil sie hinter jeder Ecke etwas wittern, obwohl dort gar nichts ist – oder jedenfalls nichts zu sein scheint... – Andererseits wissen wir, dass sich das Gras durchaus wachsen hören lässt: Jedenfalls dann, wenn man die richtigen Messinstrumente zur Hand hat – etwa eine „piezoelektronische Sonde“, mit der es unlängst Wissenschaftlern der New York University gelungen ist, das Wachstum von Maisstengeln hörbar zu machen: Wie das Brechen von Maisstengeln klinge ihr Wachstum, weil jeder Wachstumsschub mikroskopische Risse im Gewebe des Stengels erzeuge, deren Reparatur das Wachstum der Pflanze ausmache...
Ob sich das Gras wachsen hören lässt oder nicht ist also weniger eine Frage der psychischen Disposition als vielmehr eine Frage der Technik: Nicht nur der piezoelektronische Sensor, der minimale Druckschwankungen in elektromagnetische und – über den Umweg eines Computers – in akustische Signale übersetzen kann. Auch hochsensible Mikrofone und Antennen können in Bereiche des Akustischen vordringen, die unserem Gehör verborgen bleiben: Frequenzbereiche, die sich den Fähigkeiten unsers akustischen Apparats entziehen oder Geräusche und Klänge, die so leise sind, dass sie zwar an unser Ohr, aber nicht bis in unsere Wahrnehmung dringen.
BILD: Apfel mit Piezo-Tonabnehmer
Die uckermärkische Künstlerin Jana Debrodt hat daraus eine Kunst gemacht: Seit vielen Jahren experimentiert die ausgebildete Bildhauerin mit piezoelektronischen Sonden, Antennen und hochsensiblen Mikrofonen, um die unhörbaren Klänge und Geräusche ihrer Umgebung zu erkunden: Wie klingt beispielsweise eine Made, die sich im Inneren eines Apfels zu schaffen macht? („Das große Fressen“, 2014) Wie klingen unsere vitalen Lebensfunktionen? („Human Sound Instrument“, 2003; „Herztöne“, 2015) Und macht eigentlich ein Klumpen Ton, wenn er geformt wird, seinem Namen alle Ehre? („Ton“, 2017) – Man könnte Fragen wie diese für irrelevant halten. Doch wer Jana Debrodt bei ihren elektroakustischen Erkundungen folgt, der wird sich der schieren Neugier und Entdeckerfreude, die sich mit ihren Experimenten verbinden nicht entziehen können: Wie klingt ein verrottender Fisch? („Listen to a fish becoming a meal“, 2002) Oder ein Holzwurm, der sich durch einen morschen Balken arbeitet? („Balkenende“, 2016) Wie klingt es, wenn eine Fliege in ein Fenster stürzt? („o.T.“, 2010) Oder der Lauf der Sonne, die während eines Tages auf- und wieder untergeht? („Der Lauf der Sonne“, 2002)
Viele der Versuchsobjekte von Jana Debrodt stammen aus dem unmittelbaren Lebensumfeld der Künstlerin: Der Ton, mit dem ihre künstlerische Arbeit als junge Bildhauerin begann und dessen Name sich erst später im Kontext ihrer akustischen Arbeiten auf neue Weise erschloss. Der Apfel oder der Holzbalken, die sich auf dem uckermärkischen Gehöft in Neukünkendorf finden, in dem Jana Debrodt seit vielen Jahren wohnt und arbeitet. – Andere Arbeiten stammen aus der Gegenwelt: den Städten, deren elektromagnetische Schwingungen Jana Debrodt mithilfe von Antennen zum Klangereignis werden lässt („Plus Minus Null“, 2012, „522 fm – Stadtenergien“, 2006), oder deren Verkehrslärm sie in Licht umwandelt („Lärmkraftwerk“, 2009). Stadt und Land – dazwischen der Mensch. Das ist das Untersuchungs- und Experimentierfeld von Jana Debrodt, das sie in immer neuen Anläufen akustisch vermisst: Herztöne, Wurmfraß und Stadtfrequenzen. Was immer sich zwischen Himmel und Erde hörbar machen lässt, bringt Jana Debrodt mit ihren minimalinvasiven akustischen Stichproben zu Gehör.
BILD: Schaltkreis oder ähnliches, was den „wissenschaftlichen“ Charakter der Arbeit sichtbar macht
Wobei „Gehör“ in diesem Zusammenhang in Anführungszeichen zu setzen wäre. Denn was mittels piezoelektronischer Verstärkung hörbar wird, entspricht in der Regel nicht unseren Klangerwartungen: Wer würde beispielsweise auf die Idee kommen, dass sich die Arbeit einer Made in einem Apfel in einer Art Knackgeräusche entlädt? Oder wer würde sich den Klang eines Sonnenuntergangs wie ein immer intensiver und höher werdendes Rauschen vorstellen, das am Ende an ein in den Weltraum startendes Flugobjekt erinnert? – Die Geräusche, die Jana Debrodt mittels ihrer akustischen Stichproben hörbar werden lässt, bleiben fremd – und zeigen, dass es sich am Ende nicht um einfache akustische Aufnahmen, sondern um veritable Übersetzungsprozesse handelt: ausgehend von einem elektromagnetischen Signal über einen elektronischen Wandler hin zu einem akustischen Signal, das in vielen Fällen anders klingt als wir es erwartet hätten.
„Feinstoffliche Untersuchungen“ hat Jana Debrodt ihre künstlerische Arbeit auch genannt – und sich damit – durchaus provokant! – in den Horizont wissenschaftlicher Arbeit gestellt. Seit etwas über zwanzig Jahren gibt es in den Künsten eine Diskussion darüber, ob sich künstlerische Arbeit nicht auch als eine Form des wissenschaftlichen Forschens verstehen könnte: Ob künstlerische Arbeit womöglich eigene Formen der Erkenntnis entwickeln und eine ähnliche Form der Präzision an den Tag legen kann wie die Laborarbeit von Physikerinnen oder Chemikern. – Jana Debrodts Arbeiten wirken in diesem Zusammenhang schon mit Blick auf ihre Versuchsgegenstände wie Parodien von wissenschaftlichen Versuchsanordnungen – und sind doch mit einer solchen Entdeckerfreude und einer solchen Präzision gearbeitet, dass sie sich durchaus als Beitrag zur Frage nach der Erkenntnishaltigkeit der Künste verstehen lassen.
BILD: Raumaufnahme einer Klanginstallation mit Hörer/innen
Ihre Ergebnisse präsentiert Jana Debrodt dann in einer Art akustischen Rauminstallationen, mit denen sie ihre Hörerinnen und Hörer in inszenierte akustische Situationen verwickelt: Etwa, wenn sie die Ergebnisse ihrer Stichproben zum akustischen Verhalten einer Apfelmade mittels Lautsprechern so präsentiert, dass sich die Hörerinnen und Hörer mit der Made im Inneren des Apfels wähnen. Oder wenn die mittels eines Radioempfängers aufgefangenen Stadtfrequenzen von St. Petersburg in einer Art Dolby-Surround-Situation von allen Seiten her auf die Besucherinnen und Besucher des Präsentationsraums einströmen. – Die akustischen Räume, die auf diese Weise entstehen, kehren das Innere nach außen: Was sich im Innern der Objekte oder im Inneren unseres Körpers abspielt, wird zur Geräuschkulisse eines Außenraumes, der als solcher zugleich zum akustischen Innenraum wird.
Kann man Kunstwerke wie diese in einem Buch darstellen? – Naturgemäß gehört es zu den besonderen Herausforderungen einer Buchpublikation von akustischen Arbeiten, dass sich letztere in einem Buch nicht ohne weiteres darstellen lassen. – Deshalb zieht sich durch das gesamte Buch eine von der Künstlerin gezeichnete Amplitude, welche genau diejenigen Geräusche, die auf der jeweiligen Seite hörbar wären in eine optische Dynamik übersetzt: Lautstärke und Rhythmen – auch dieses Textes – werden auf diese Weise sichtbar – und zeigen obendrein eine weitere Facette der künstlerischen Arbeit von Jana Debrodt: die Zeichnung, die sich – neben den Texten – gleichsam als spielerische „technische Zeichnungen“ durch das Buch zieht und so die unterschiedlichen Versuchsanordnungen der Künstlerin sichtbar werden lässt.
Ein Hörbuch ist das vorliegende Buch damit noch lange nicht. Aber wer das Gras wachsen hören kann, sollte eigentlich auch ein Buch hören können... – Blättern Sie mal!
BILD: Die Textamplitude könnte hier in einer Art Nulllinie auslaufen, um den Charakter des „stummen Hörbuchs“ zu unterstreichen.
Autoreninfos:
Hannes Langbein, geboren 1978 in Jena, ist nach einem Studium der Evangelischen Theologie in Heidelberg, Zürich, Princeton und Berlin und Referententätigkeit im Kulturbüro des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Pfarrer an der Kulturstiftung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) St. Matthäus in Berlin. Er ist Redakteur der ökumenischen Quartalszeitschrift „kunst und kirche“ und Präsident der Gesellschaft für Gegenwartskunst und Kirche „Artheon“.
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Statement
Jana Debrodt
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"Im Sehen erkennt man das Skelett der Dinge, im Hören ihren Puls." *
*Strauss, Erwin: „vom Sinn der Sinne“, Göttingen 1956
Ich arbeite mit Klang. In Installationen, mit Objekten sowie Kompositionen.
Mich interessiert die akustische Wahrnehmung des Menschen in seinem alltäglichen Umfeld. Die Aufmerksamkeit, vor allem für die "kleinen" Dinge und Vorgänge die überhört bzw. übersehen werden.
Ich experimentiere und forsche an Wahrnehmung durch das Ohr und an Methoden der Übersetzung und Übertragung in Klang.
Ausgehend von der eigenen Wahrnehmung, möchte durch das Hörbar-machen Aspekte zu Tage fördern, die sich dem Blick entziehen.
Dafür ist es notwendig, dass ich mich mit den akustischen Medien mit ihren Apparaten, Programmierung von Software, Effekten und Erscheinungen auseinandersetze, sie erforsche und diesem eine kritische künstlerische Nutzung abringe. Dass ich Klänge und deren Erzeuger und Projektionsverfahren benutze, liegt an meiner anhaltenden Faszination für das Potential der feinschichtigen Gestaltungsmöglichkeiten und dem fortwährend interessanten Bezug zwischen Raum, Zeit und Bewegung.
Der zeitliche Aspekt von Klang ist auch wesentlich für mich, um ungewöhnliche Verknüpfungen herzustellen. Zum Beispiel das Hören von Vorgängen, die man normalerweise nicht hören kann. ("Sonnenaufgang", "Stadtenergien", Einem Fisch zuhören, während er eine Mahlzeit wird"). Mit Sensoren, Tonabnehmer und Verstärker übertrage ich in Klang und mache hörbar. Arbeiten dieser Art sind im "Skizzenbuch unerhörter Geräusche" zusammengefasst (Katalog 2017)
An der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Technik und Kunst.
Diese Reihe von Arbeiten speisen mit ihren innovativen, unterschiedlichen, technischen Lösungen, eine neue Werkform: sich selbst aufführende, interaktive, elektro-akustische Medieninstallationen. Diese Arbeiten widmen sich ortspezifischen, themenbezogenen und anderen vorgefundenen Gegebenheiten oder Bedürfnissen.
Seit 2020 hat sich ein Zweig meiner Arbeit, zu einer mehr performativen Arbeit entwickelt, Die Improvisation und das Spiel ermöglichen, auf sich ständig verändernde Umstände flexibel reagieren zu können.
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